Wirtschaft Süddeutsche Zeitung WIRTSCHAFT Judith Raupp Mittwoch,19. Oktober 2005 München Seite 22 · Bayern Seite 22
· Deutschland Seite 22 Ärger im Steuerparadies Das Schweizer Werben um Millionäre
stößt auf Widerstand Michael Schumacher hat Glück. In der
Schweiz finden keine Formel-1-Rennen
statt. Das hat einen großen Vorteil
für den 36 Jahre alten Profi-Fahrer.
Denn er kann in seiner Villa in Vufflens-le-Château
im Waadtland wohnen und Steuern sparen.
Der Westschweizer Kanton gewährt
reichen Ausländern deutliche Abschläge,
sofern sie in der Schweiz keiner
Geschäftstätigkeit nachgehen. Im Fall
Schumacher soll die Steuerersparnis im
Vergleich zu einem ähnlich reichen
Schweizer 25 Millionen Euro pro Jahr
ausmachen. Alternativ könnte Schumacher
eine Holding gründen. Solche
Dachgesellschaften, die nicht selbst
produzieren, genießen in vielen
Schweizer Kantonen ebenfalls deutliche
Steuervorteile. Die europäischen Nachbarländer
mögen diese Gefälligkeiten in der
Schweiz natürlich nicht. Dem deutschen
Fiskus entgehen zum Beispiel Abgaben des
Ex-Tennisspielers Boris Becker und des
Milchunternehmers Theo Müller, ganz
abgesehen von den zahlreichen
Mittelständlern, deren Umzug in die
Schweiz in aller Stille vonstatten geht.
Je nach politischer Lesart schätzen die
Experten die Zahl der ausländischen
Steuergünstlinge auf 2000 bis 4000. Der
Unmut der Europäer ist so groß
geworden, dass die EU-Kommission vor
kurzem einen Brief an den Botschafter
der Schweizer Mission in Brüssel
geschrieben hat. Richard Wright, der
zuständige EU-Direktor für
Außenbeziehungen, will Genaueres wissen
über „gewisse Steuerregime in
gewissen Kantonen wie Zug oder Schwyz“.
Im Dezember treffen sich Vertreter der
EU-Kommission und der Schweiz, um die
Angelegenheit zu besprechen. Dabei wird
es heftige Debatten geben. Die Europäer argwöhnen, die
Eidgenossen könnten gegen das
Freihandelsabkommen aus dem Jahr 1972
verstoßen. Dieses untersagt „jede
staatliche Beihilfe, die den Wettbewerb
verfälscht“. Die Schweizer wundern
sich über den Zeitpunkt dieser Kritik.
„Die Steuerregime in unseren Kantonen
bestehen ja schon seit Jahrzehnten“,
erklärt ein Behörden-Sprecher in Bern.
Schweizer Diplomaten vermuten, die Rüge
der EU könne mit der kürzlich in Kraft
getretenen Quellensteuer auf Zinsen
zusammenhängen. Auf Druck der EU behält der
Schweizer Fiskus von Ausländern 15
Prozent Steuern auf Zinsen ein und
führt 75 Prozent davon an die
EU-Länder ab. Mittlerweile haben die
Europäer jedoch gemerkt, dass diese
Einnahmen geringer ausfallen als
erwartet. Denn die Schweizer Banken
bieten Anlageprodukte an, mit denen die
Kunden die Quellensteuer legal umgehen
können – ein Ärgernis für Europas
Finanzminister. Franz-Xaver Micheloud, Inhaber der
gleichnamigen Beratungsfirma in
Lausanne, sieht das freilich ganz anders:
„Leider ist die Schweiz nicht das
günstigste Steuerland.“ Micheloud
lebt davon, für Ausländer in der
Schweiz die Steuerverhandlungen mit den
Finanzämtern zu organisieren. Ginge es
nach ihm, wäre die Schweiz noch viel
großzügiger. Er sagt, Länder wie
Andorra, Malta, Monaco oder die Bahamas
seien „viel, viel attraktiver“. Das
Ganze sei eine einzige Neiddebatte. Die
Schweiz profitiere schließlich davon,
wenigstens einen Teil der Steuern zu
bekommen: „Die Alternative wäre, dass
das Geld ins Ausland geht.“ Weniger Betuchte zahlen Für diese Einstellung hat die
sozialdemokratische Parlamentarierin
Susanne Leutenegger-Oberholzer
überhaupt kein Verständnis. „Die
Schweiz zieht Steuervermeider an wie ein
Miststock die Fliegen“, wetterte sie
unlängst in einer Nationalratsdebatte.
Nach ihrer Ansicht hat die Schweiz das
gar nicht nötig. Das Land biete
politische Stabilität, eine schöne
Landschaft und eine gute Infrastruktur,
zum Beispiel beste Schulen für den
Nachwuchs der Reichen. „Vieles davon ist über Steuern
finanziert, deren Last weniger Betuchte
tragen“, sagt sie.
Leutenegger-Oberholzer stellte im
Parlament den Antrag, die
Steuervergünstigungen für Ausländer
aufzugeben. Er wurde abgelehnt. So
bleibt die Schweiz ein Steuerparadies.
Vorläufig. |